
Lehrkräfte bezweifeln Zukunftsfähigkeit des deutschen Bildungssystems
- Schüler weitgehend digital inkompetent
- Lehrer nutzen digitale Techniken unzureichend
- Lehrpläne und Infrastruktur mangelhaft
Wiesbaden, Juni 2020. Digitale Kompetenzen werden immer wichtiger, bleiben aber im deutschen Bildungssystem auf der Strecke. Mehr als drei Viertel (78%) der Lehrkräfte sind der Überzeugung, dass das deutsche Bildungssystem nicht zukunftsfähig ist. Das zeigt eine Studie des KOHORTEN-Instituts und NOAA PARTNERS. Die Forscher haben hierbei deutschlandweit 150 Lehrkräfte der Sekundarstufen I und II ausführlich interviewt.
Schüler: weitgehende digitale Inkompetenz
Eine erdrückende Mehrheit der Lehrkräfte (88%) ist überzeugt, dass die Schüler schon heute im Umgang mit digitalen Medien und dem Internet unterrichtet werden müssten. Zugleich beklagen zwei Drittel (66%) der Befragten, dass die Schulen zu wenig tun. Besonders schlecht mit lediglich „Vier+“ (Note 3,7) beurteilen die Lehrer die Fähigkeit der Schüler, digitale Informationen zu bewerten. Die Schüler können glaubwürdige Informationen von unglaubwürdigen kaum unterscheiden. Studienleiterin und KOHORTEN Geschäftsführerin Ariane Hofstetter „Ohne die Kompetenz zur Bewertung von Informationen wächst die Gefahr, dass die Schüler auf Fake-News hereinfallen.“
Wichtige technische Grundkenntnisse der digitalen Welt (Note 4,1) vermissen die Lehrer bei ihren Schülern. Auch Kenntnisse zum Datenschutz (Note 3,8) sowie die Nutzung digitaler Werkzeuge Medien sind stark verbesserungsbedürftig. Lediglich die Fähigkeit der Schüler zur digitalen Kommunikation wird von den Lehrern als gut (Note 2,4) erachtet. Digitalisierungsexperte Christian Massmann: „Die Defizite sind zugleich eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Denn die zukünftigen Mitarbeiter benötigen ein tiefgreifendes Verständnis digitaler Vorgänge.“
Lehrer: digitale Techniken werden kaum genutzt
Nicht nur die Schüler verzeichnen Defizite. Auch die Lehrer sind nach Auffassung von Studienleiterin Hofstetter nicht auf Ballhöhe. Digitaler Unterricht bedeutet für vier von fünf (82 %) der Lehrkräfte lediglich digitales Anschauungsmaterial – zumeist YouTube-Videos – im Unterricht abzuspielen. Die Lehrer wollen den Unterricht damit unterhaltsamer gestalten. Die Möglichkeit, das Erlernte mit digitalen Instrumenten praktisch anzuwenden oder zu kontrollieren wird von den Lehrern kaum ungenutzt. Lediglich ein Drittel (35%) nutzt diese Instrumente. „Das ist bedauerlich, könnten die Lehrer ihre Schüler damit doch sehr individuell unterstützen,“ so Hofstetter. Viele digitale Instrumente – wie beispielsweise Assessment-Lösungen in Unternehmen, bei denen der Schwierigkeitsgrad mit jeder richtig beantworteten Aufgabe steigt – sind an deutschen Schulen noch gänzlich unbekannt.
Lehrpläne und Infrastruktur: zumeist unzureichend
Trotz Digitalpakt haben die Lehrkräfte nur selten den Eindruck (34%), daß die Digitalisierung die ihr zukommende Bedeutung genießt. So ist in rund 40 Prozent der Schulen derzeit noch kein WLAN eingerichtet. Viele Lehrkräfte fühlen sich nicht ausreichend auf die Digitalisierung des Unterrichtes und die Vermittlung digitaler Kompetenzen vorbereitet. Die Hälfte (49%) der Lehrer bezeichnet die Vorbereitung durch das Schulsystem als ungenügend oder allenfalls als gerade ausreichend. Zugleich zeigen sich die Lehrer aufgeschlossen. Studienleiterin Hofstetter: „Die meisten Lehrkräfte würden gerne an einer digitalen Weiterbildung teilnehmen.“
Grundlegende Veränderungen erforderlich
„Die Defizite in der Digitalisierung der Schulen erfordern grundlegende Veränderungen im Schulsystem“, so Digitalisierungsexperte Massmann. Das sieht auch jede zweite Lehrkraft so und fordert neue Lehrkonzepte. „Wer lediglich digitale Arbeitsgeräte beschafft, springt zu kurz.“ Die Lehrkräfte benötigen Qualifizierungen. Sie müssen zunächst mit den technischen Möglichkeiten vertraut gemacht werden. Anschließend sollten sie lernen, die digitalen Instrumente im Unterricht praktisch anzuwenden. Zudem müssen die Kultusministerien wesentliche praxisrelevante Inhalte zu den Chancen und Risiken der Digitalisierungen in die Lehrpläne einarbeiten. Massmann: „Erst mit solchen Konzepten können die Schulen die benötigten Fördermittel aus dem DigitalPakt sinnvoll einsetzen.“
Über die Studie
Grundlage der Studie war eine Online-Befragung von rund 150 Lehrkräften der Sekundarstufen I und II. Als vorbereitende Stufe dienten Expertengespräche, mit Lehrkräften und Entscheider*innen in Unternehmen sowie ein angeschlossenes Desktop Research. Auf diesen Vorarbeiten aufbauend wurde der online-Fragebogen für die Hauptbefragung angelegt. Die Studienteilnehmer waren überwiegend weiblich, im Alter zwischen 30 und 49 Jahren. Vertreten waren alle Fachrichtungen. Besonders häufig die Naturwissenschaften, Mathematik, Deutsch und Gesellschaftslehre.
Hier ein Einblick zur Paneldiskussion:
Ein Kommentar zu „Digital Skills Gap-Studie“
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